Neuauflage der DIN 4108 Teil 3 | Tauwasser – die „Inkontinenz“ der Luft

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Im November 2014 erschien die neu überarbeitete DIN 4108-3 „Klimabedingter Feuchteschutz – Anforderungen, Berechnungsverfahren und Hinweise für Planung und Ausführung“. In diesem Artikel gehen wir neben der Vermittlung physikalischer Grundlagen auf die wesentlichen Neuheiten bzw. Änderungen ein.

Tauwasser – Die „Inkontinenz“ der Luft

Der lateinische Begriff Incontinentia beschreibt die Unfähigkeit, etwas behalten oder zurückhalten zu können. Bezogen auf das im Gasgemisch enthaltene Wasser kommt die „Luft“ regelmäßig in diese temperaturabhängige Verlegenheit. Wenn in diesem Artikel die Rede von Tauwasser und dem Taupunkt ist, dann darf der US-amerikanische Maschinenbauingenieur Willis Haviland Carrier nicht unerwähnt bleiben. Die DIN 4108-3 greift auf sein thermodynamisches Basiswissen aus den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, das Carrier-Diagramm zurück.

Carrier-Diagramm nach DIN 4108, Bild: Schöck Bauteile GmbH

Jeder Lufttemperatur lässt sich eine maximale von der Luft aufnehmbare Wasserdampfmenge c in g/mzuordnen. Aufnehmen bedeutet in diesem Fall die fachlich korrektere Bezeichnung einer Aggregatszustandsänderung von flüssig zu gasförmig. Umso höher die Lufttemperatur, umso mehr Wasserdampf kann sie aufnehmen. Bei 20 °C kann 1 mLuft etwa 17 g Wasser gasförmig aufnehmen. Mehr geht nicht. Bei 0 °C ist die Sättigung bereits bei etwa 5 g/mWasser erreicht. Man nennt diese Kurve im Carrier-Diagramm umgangssprachlich die Taupunktkurve oder besser die Sättigungskurve. Wird 100 % mit Wasserdampf gesättigte Luft von 20 °C auf 0 °C abgekühlt, kommt es zum besagten Unvermögen, das Wasser als Dampf halten zu können. Es kommt zu dem Wechsel des Aggregatzustandes von gasförmig zu flüssig, dessen Produkt als Kondensat bezeichnet werden darf. Die Kondensatmenge beträgt in diesem Beispiel etwa 12 g/m3.

Den Dampf oder die Diffusion bremsen?

Schäden durch Kondensat in Baukonstruktionen sind bei Handwerkern wie auch Planern gleichermaßen gefürchtet, weshalb sie den Dampf mit „Dampfsperren“ oder „Dampfbremsen“ buchstäblich in die Schranken weisen. Dabei ist weder von dem einem noch dem anderen Begriff in der DIN 4108-3 die Rede. Die Rede ist von diffussionsoffenen, -hemmenden oder diffusionsdichten Schichten – und von luftdichten Schichten.

Die DIN 4108-3 behandelt zwei nicht zu verwechselnde physikalische Vorgänge der Wasserdampfkonvektion und der Wasserdampfdiffusion. Beide können Schäden verursachen – gegen beide ist aber auch ein Kraut gewachsen!

Wasserdampfkonvektion

Gegen schädlichen Feuchteeintrag in Konstruktionen durch Wasserdampfkonvektion hilft Luftdichtheit. Ge-meint sind Schichten, die den konvektiven Transport von „feuchter Luft“ in kalte Bereiche einer Konstruktion verhindern (z. B. Folien, Putzschichten etc.). Da die Luft, wie im ersten Abschnitt beschrieben, beim Unterschreiten bestimmter Temperaturen „inkontinent“ wird, muss deren Transport unterbunden werden. Die Kondensatmengen und das damit verbundene Schadenspotential liegen um ein Vielfaches höher als dies bei der Wasserdampfdiffusion der Fall ist.

Wasserdampfdiffusion

Anders als bei der Wasserdampfkonvektion wird in diesem Fall nicht das Medium selber transportiert, sondern die Moleküle des Wassers. Wasserdampfdiffusion wird in der DIN 4108-3 definiert als „Wanderung von Wasser-molekülen in einem Gasgemisch“, z. B. Luft bzw. Luft in den Porenräumen von Baustoffen, aufgrund von Dampfteildruckunterschieden. Jetzt kommen jene Schichten ins Spiel, welche sich der Dampfdiffusion offen, hemmend oder dicht entgegenstellen. Ein Maß hierfürist der sd-Wert, welcher die Dicke einer gedachten (äquivalenten) Luftschicht beschreibt. Da eine Luftschicht den Wassermolekülen den kleinsten Diffusionswiderstand μ entgegenstellt, wurde der Diffusionswiderstand für Luft mit μ = 1 als Bezug festgelegt. Je dichter ein Materialgefüge um so kleiner ist der Porenraum in einem Baustoff und umso größer ist der Diffusionswiderstand. Metalle und Gläser haben einen unendlich großen Widerstand. Das Produkt aus μ und der Schichtdicke in m ergibt die den sd-Wert. Die DIN 4108-3 definiert folgende Schichten:

In der Neufassung der Norm hinzugekommen ist der Begriff „Schichten mit variablen sd-Wert“. Grund hierfür ist die Tatsache, dass sich Folien nach den Regeln der Technik auf dem Markt durchgesetzt haben, welche ihren sd-Wert in Abhängigkeit von der Umgebungs-Luftfeuchte von diffusionsoffen nach diffusionshemmend und umgekehrt verändern können.

Die sd-Wertspreizung von Folien wird in den technischen Datenblättern angegeben mit Werten zwischen 0,1 bis 5 m. Für die Tauwasserberechnung wird zudem der statische sd-Wert angegeben, der zumeist in der Größenordnung sd = 2 bis 3 m liegt.

Treibender Motor der Diffusion

Je niedriger der Dampfdruck und je höher die Temperatur, desto größer ist die Beweglichkeit der Wassermoleküle in der Luft. Deshalb erfolgt der Diffusionsstrom, anlog zum Wärmetransport von Bauteilschichten größerer zu kleinerer Wasserdampfkonzentration, von großem zu kleinem Dampfdruck. Der treibende Motor der Dampfdiffusion ist also das Streben nach Ausgleich verschiedener Dampfdrücke. In den Wintermonaten (Tauperiode) erfolgt der Diffusionsstrom in beheizten Gebäuden von innen nach außen. In der neuen DIN 4108-3 wurden die Berechnungsrandbedingungen neu festgelegt. Die Außentemperatur in der Tauperiode wurde von -10 °C auf -5 °C erhöht. Für etwa gleiche Berechnungsergebnisse sorgt jedoch die gleichzeitige Verlängerung der Tauperiode von 60 auf 90 Tage. In der Verdunstungsperiode sind keine Raum- und Außentemperaturen bzw. relativen Luftfeuchtigkeiten mehr vorgegeben. Es wird nun ein beiderseitiger Dampfdruck von 1.200 Pascal in der Be-rechnung angesetzt.

Berechnung der Tauwasser- und Verdunstungsmenge

Die Berechnung, ob und wie viel Tauwasser im Bauteilquerschnitt ausfällt und wie viel davon wieder verdunsten kann, wird nach dem Glaserverfahren im Anhang A der Norm durchgeführt. Am Berechnungsverfahren welches nach dem Physiker Helmut Glaser benannt ist, hat sich auch in der neuen Normenauflage nichts geändert. Allerdings wurde im Anwendungsbereich der Norm deutlich darauf hingewiesen, dass dieses stationäre Berechnungsverfahren (starre Randbedingungen, zeitlich konstant) nicht für klimatisierte Räume anzuwenden ist. Es bildet nicht die realen physikalischen Vorgänge in ihrer tatsächlichen zeitlichen Abfolge ab. Ausgeschlossen vom Glaserverfahren sind auch Räume mit extremen klimatischen Bedingungen wie z. B. Schwimmbäder, Wintergärten und ähnliche. In diesen Fällen wird auf die neu hinzugekommene Anlage D zur DIN 4108-3 verwiesen, in der Hinweise für wärme- und feuchteschutztechnische Simulationen gegeben werden.

DIN 4108-3 – Der Katalog für nachweisfreie Konstruktionen

Bereits ab dem Jahr 2001 befreite der Normenteil 3 der DIN 4108 den Planer vom rechnerischen Tauwassernachweis für eine Vielzahl der am Bau üblichen Außenwand- und Dachkonstruktionen. Im Abschnitt 5.3.1 der DIN 4108-3 sind 3 Bedingungen für die Nachweisfreiheit vorgegeben:

„Für die aufgeführten Bauteile mit ausreichendem Wärmeschutz nach DIN 4108-2 und luftdichter Ausführung für nicht klimatisierte Wohn- oder wohnähnlich genutzteRäume ist kein rechnerischer Nachweis des Tauwasserausfalls infolge Wasserdampfdiffusion erforderlich, […].“

In der neuen Fassung aus dem Jahr 2014 wurde die Liste der nachweisfreien Konstruktionen nochmal erweitert. Neubeschrieben sind
– Kellerwände,
– Bodenplatten,
– Außenwände in Holzbauart sowie
– neue Dachkonstruktionen mit Auf-, Zwischen- und Untersparrendämmung.

Dabei wurde Wert auf Übersicht und Anschaulichkeit gelegt.

Nachzuweisende Größe bleibt jedoch der innere und äußere sd,i-Wert bzw. sd,i-Wert einer Konstruktion.

Beispiel

Die folgende leichte Außenwand in Holzbauweise ist nachweisfrei, wenn der sd,i-Wert ≥ 2,0 m und sd,e-Wert ≤ 0,3 m beträgt.

Der raumseitige sd,i-Wert wird dabei aus der Summe der sd-Werte aus Spanplatte (s= 50 x 0,019 = 0,95m) und der Luftdichtheitsschicht (sd = 2,0 m) gebildet. Die außenseitige Belüftungsschicht und vorgehängte Fassade bleiben in der Berechnung unberücksichtigt.

Fazit

Ein Blick in die Auflistung der nachweisfreien Konstruktionen lohnt sich.

Sollten Sie sich trotz Blick in die Norm nicht sicher sein, ob die von Ihnen gewählte Konstruktion frei von Tauwasser bzw. schadensfrei ist und bleibt, beraten wir Sie gerne! Wir freuen uns auf Ihren Anruf!

Autor dieses Beitrages:

Thomas Schreiber, Bauphysik

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